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German Desk
Der kranke Arbeitnehmer im Ausland
Bettina Oostendorp

Viele niederländische Unternehmen beschäftigen Arbeitnehmer, die in einem anderen Land wohnen. Beispielsweise polnische Arbeitnehmer, die vor allem als Saisonarbeiter eingesetzt werden, oder Grenzgänger, die in Deutschland wohnen. Wenn diese Arbeitnehmer krank werden, ruft dies Fragen auf, von wem und wie die Krankheit festgestellt wird.

Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Urteils des Gerichtshofes Gerechtshof ‘s Hertogenbosch vom 11. März 2021. Was genau war los? Ein polnischer Arbeitnehmer, bei einem niederländischen Arbeitgeber angestellt, wurde während seines vorübergehenden Aufenthalts in seinem Wohnstaat Polen krank. Der Arbeitnehmer erschien nicht zu Terminen bei dem niederländischen Betriebsarzt in den Niederlanden. Der Arbeitnehmer ließ dahingegen seine Arbeitsunfähigkeit von der Sozialversicherungsbehörde des Wohnstaates, Polen, (hiernach: ZUS (Zaklad Ubezpieczen Spolecznych)) beurteilen. Aus dieser Beurteilung ging hervor, dass der Arbeitnehmer zur Verrichtung der Arbeiten nicht fähig war und Bettruhe benötigte. Der behandelnde Neurologe in Polen hat daraufhin mitgeteilt, dass der Arbeitnehmer aus medizinischen Gründen nicht in der Lage sei, in die Niederlande zu reisen. Der niederländische Betriebsarzt konnte dieser Beurteilung nicht zustimmen und seine Beurteilung wurde vom Amtsgericht (kantonrechter) gestützt. Aber zu Recht? Wie ist die Kontrolle eines kranken Arbeitnehmers, der in einem anderen Land wohnt und/oder verbleibt, geregelt?

Die Europäische Koordinierungsverordnung
Die Europäische Koordinierungsverordnung enthält Vorschriften zur Bestimmung des nationalen Systems der sozialen Sicherheit, das auf grenzüberschreitende Situationen anwendbar ist. Als Ausgangspunkt gilt, dass das System des Landes, in dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeiten im Angestelltenverhältnis verrichtet, anwendbar ist, auch wenn er im Hoheitsgebiet eines anderen EU-Mitgliedsstaates wohnt. Denken Sie hier an das Beispiel des polnischen Arbeitnehmers. Ein weiterer klassischer Fall ist der deutsche Grenzgänger, der gleich hinter der Grenze in den Niederlanden im Angestelltenverhältnis arbeitet. Das niederländische System der sozialen Sicherheit ist in beiden Situationen anwendbar. Das bedeutet, dass der polnische und deutsche Arbeitnehmer, die in den Niederlanden beschäftigt sind, im Krankheitsfall auch einen Anspruch auf die 104-wöchige Lohnfortzahlung des niederländischen Arbeitgebers erheben können.

Ärztliche Kontrolle
Ob der betreffende Arbeitnehmer krank ist, wird nach niederländischem Recht von dem Betriebsarzt festgestellt. Aber gilt dies auch für deutsche und/oder polnische Arbeitnehmer während ihrer Krankheit im Wohnstaat? Ist der Betriebsarzt auch dann für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit zuständig?

Nach der Koordinierungsverordnung gilt als Ausgangspunkt, dass die Kontrolle des Vorliegens einer Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit und ihrer vermutlichen Dauer von dem (behandelnden) Arzt des Arbeitnehmers in dem Wohnort (Wohnstaat) durchgeführt werden muss. Wenn dieser Arzt keinen Nachweis zur Arbeitsunfähigkeit vorlegt und dies dennoch erforderlich ist, muss sich der Arbeitnehmer direkt an einen Arzt der Sozialversicherungsbehörde seines Wohnortes wenden. Der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit muss daraufhin dem Arbeitgeber vorgelegt werden. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich an diese Beurteilung gebunden.

Ausgangspunkt der Koordinierungsverordnung ist also, dass der Wohnstaat für die ärztliche Beurteilung verantwortlich ist und genau das ist auch der Knackpunkt. Diese ausländischen Berichte sind in einer Situation mit niederländischen Maßstäben nur schwer zu verwenden. Die niederländischen Arztberichte sind nämlich auf das niederländische Wiedereingliederungsregime ausgerichtet. Die Belastbarkeit eines Arbeitnehmers wird beispielsweise anhand des Beurteilungsrahmens des UWV (Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen, der Leistungsträger für Arbeitnehmerversicherungen) „Beoordeling van de duurzaamheid van arbeidsbeperkingen“ („Beurteilung der Dauerhaftigkeit von Arbeitseinschränkungen) festgestellt. Die ausländischen Erklärungen erfüllen die Vorgaben aller Wahrscheinlichkeit nicht und daher ist eine Feststellung der Wiedereingliederungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber schwierig.

Hat der Arbeitgeber denn gar keine Möglichkeiten? Doch, die Verordnung bietet einen Ausweg. Abweichend von dem Ausgangspunkt kann sich der Arbeitgeber das Recht vorbehalten, den Arbeitnehmer von einem Arzt seiner Wahl untersuchen zu lassen. Der Arbeitgeber kann entweder einen eigenen niederländischen Arzt senden oder einen betreffenden Arzt im Wohnstaat beauftragen, um die Arbeitsunfähigkeit des kranken Arbeitnehmers in dem anderen EU-Mitgliedsstaat feststellen zu lassen. Der Arbeitgeber kann von dem Arbeitnehmer aber nur verlangen sich in den Niederlanden beurteilen zu lassen, wenn dieser in der Lage ist die Reise zu unternehmen, ohne dass dies seiner Gesundheit schadet. Das muss dann allerdings festgestellt sein und dafür ist der Arbeitgeber wieder von diesem Arzt im Wohnstaat abhängig. Außerdem gehen die Reise- und Aufenthaltskosten zu Lasten des Arbeitgebers.

Tipps für das sogenannte „Abwesenheitsprotokoll“
Ein Tipp für den Arbeitgeber lautet, einer Krankmeldung im Ausland in dem sog. Abwesenheitsprotokoll mit dem ausländischen EU-Arbeitnehmer spezielle Aufmerksamkeit zu widmen. Darin lässt sich bestimmen, dass der Arbeitnehmer, je nach Krankheit, in die Niederlande zurückkehrt, um sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, wenn er nicht mit einer ärztlichen Erklärung nachweist, dazu nicht in der Lage zu sein. Unterlässt der Arbeitnehmer es, sich von einem Arzt oder einer Sozialversicherungsbehörde vor Ort in seinem Wohnstaat dahingehend untersuchen zu lassen, ob er gesundheitlich in der Lage ist, in sein Arbeitsland zurückzukehren, dann besteht nach niederländischem Recht ein Grund für die Aussetzung der Lohnfortzahlung.

In dem Abwesenheitsprotokoll kann der Arbeitgeber auch Bedingungen stellen, die die ärztliche Untersuchung in dem anderen EU-Mitgliedsstaat erfüllen muss, sodass aus der Gesundheitserklärung beispielsweise genau Anfang, Dauer und Art der Arbeitsunfähigkeit hervorgehen, sowie welche Therapie von dem Arzt verschrieben wurde und welche (restlichen) Arbeitsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer bleiben.

Gerichtshof Den Bosch
Zurück zum Urteil vom 11. März 2021. In dieser Angelegenheit verlangte der Arbeitgeber von dem Arbeitnehmer nur aus dem alleinigen Grund die Rückkehr in die Niederlande um feststellen zu können, ob der Arbeitnehmer wiedereingegliedert werden konnte. Dieses Ziel kann nach Ansicht des Gerichtshofes ‘s Hertogenbosch auch dadurch erreicht werden, dass dem ZUS im Wohnstaat Fragen zur (Un)Möglichkeit einer Wiedereingliederung gestellt werden. Der Arbeitgeber hätte das ZUS darüber informieren können und müssen und er hätte auf die speziell in den Niederlanden geltenden Anforderungen in Bezug auf die Wiedereingliederung und die sich darauf zu richtende Untersuchung hinweisen müssen. Der Gerichtshof sprach dem Arbeitnehmer schlussendlich eine angemessene Vergütung zu. In seinem Urteil hielt es der Gerichtshof für weniger relevant, ob der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen in der Lage war, in die Niederlande zu reisen oder nicht, weil in Polen keine einzige Untersuchung hinsichtlich der dem vorausgehenden Frage stattgefunden hat, ob der Arbeitnehmer zu einer Wiedereingliederung in der Lage war.

Abschließend
Beschäftigen Sie als Arbeitgeber Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedsstaat wohnen? Sorgen Sie dann dafür, dass Ihr Abwesenheitsprotokoll vollständig aktualisiert und auf die Situation, dass der Arbeitnehmer in einem anderen Land krank wird, zugeschnitten ist. Dies empfiehlt sich übrigens auch für Arbeitgeber, deren Arbeitnehmer viel Zeit im Ausland verbringen (ohne dort zu wohnen).

Wenn Sie Fragen zu diesem oder anderen Themen haben, steht Ihnen unser German Desk immer gerne zur Verfügung.
 
 
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